Der grosse Löwe und der kleine Hase

Im tiefen Urwald lebte einst ein riesiger Löwe. Alle anderen Tiere hatten Angst vor ihm, weil er jeden Tag viele von ihnen tötete. Sie befürchteten, niemand würde am Leben bleiben, wenn der Löwe sie weiterhin ungehindert tötete. Die Tiere des Urwaldes waren sehr besorgt. Sie mussten einen Weg finden, um den Löwen am Töten zu hindern. Eines Tagen versammelten sie sich und besprachen die Angelegenheit. Am Ende beschlossen sie, zum Löwen zu gehen und die Sache mit ihm zu besprechen.
Am nächsten Morgen erschien eine grosse Anzahl Tiere beim Löwen. Dieser brüllte von Begeisterung, weil er dachte, er könne sie nun alle verzehren, ohne sie jagen zu müssen. "Majestät", sagte ein Tier, "wir bitten Euch, uns anzuhören, bevor Ihr uns tötet! Ihr seid unser König, und wir sind Eure Untertanen. Doch Ihr tötet so viele von uns, dass wir von Tag zu Tag weniger werden. Wir befürchten, dass es ausser Euch bald keine Tiere mehr im Urwald geben wird. Ein König kann nicht ohne seine Untertanen leben. Wenn wir alle tot sind, werdet Ihr nicht mehr König sein. Majestät, wir wünschen, dass Ihr ewiglich unser König bleibt. Aus diesem Grund wollen wir Euch unseren Plan unterbreiten. Wir bitten Euch, O Herr, zu Hause zu bleiben. Jeden Tag werden wir Euch ein Tier zum Fressen schicke. Ihr braucht nicht also nicht mehr auf die Jagd zu gehen, denn Ihr werdet genügend Nahrung zu Hause finden. Auf diese Weise können wir alle in Frieden leben."
Der Löwe dachte über diesen Plan nach. Was die Tiere gesagt hatten, erschien ihm sinnvoll. "In Ordnung", sagte er, "ich stimme eurem Plan zu. Doch wenn ihr es einmal versäumt, genügend Futter zu schicken, werde ich so viele Tiere töten, wie ich will." Die Tiere versprachen ihm, dass sie jeden Tag genügend zu fressen zu schicken würden. Von diesem Tag an wurde täglich ein Tier zum Löwen geschickt, und dieser tat sich daran gütlich. Jede Tiergattung, die im Urwald lebte, kam an die Reihe, indem sie ein Tier ihrer Art zum Löwen schickte. So ging es lange Zeit. Eines Tages mussten die Hasen einen Vertreter schicken. Ein kleiner Hase sollte zum Löwen gehen. Dieser Hase aber war ein kluges Tier. Er wollte nicht aufgefressen werden und suchte nach einem Ausweg, um sich zu retten. Wenn er Erfolg haben würde, dachte er, könnte er auch die anderen Tiere auch retten. Lange dachte er nach, und bald schon viel ihm etwas ein.
Der Hase ging also zum Löwen, beeilte sich aber nicht. Ganz langsam schlenderte er und erreichte die Höhle des Löwen sehr spät am Abend. Der Löwe war sehr hungrig, als der Hase so spät erschien, und wurde zornig, als er sah, dass ihm ein so kleines Tier zum Fressen geschickt worden war. Er brüllte: " Wer geschickt? Du bist zu klein und kommst zu spät! Ich werde sämtlichen Tieren eine Lektion erteilen, indem ich sie alle töte!" Der kleine Hase verneigte sich und sagte: "O grosser König, bitte hört mich an! Verurteilt weder mich noch die anderen! Die Tiere wussten, dass ein Hase für euch zu klein ist, und deswegen schickten sie 6 Hasen. Aber unterwegs wurden 5 von einem anderen Löwen getötet und aufgefressen."
"Ein anderer Löwe?", brüllte der Löwe. "Wer ist das? Wo hast du ihn gesehen?" "Er ist ein grosser Löwe", sagte der Hase, "und kam aus seiner Höhle im Erdboden. Er wollte auch mich töten, doch ich sagte zu ihm: `Du weisst nicht, was du angerichtet hast. Wir alle waren auf dem Weg zu unserem König, um aufgefressen zu werden. Nun hast du seine Mahlzeit verdorben. Das wird er nicht ungestraft lassen. Er wird kommen und dich auffressen.` `Wer ist dein König?` `Unser König ist der grösste Löwe im Urwald` antwortete ich ihm. Er wurde ganz wild und sagte: `Der einzige König in diesem Urwald bin ich, und alle Tiere sind meine Untertanen. Ich behandle sie so, wie ich will. Dieser Bursche, von dem du da sagst, er sei euer König, ist ein Dieb. Bring ihn her, und ich werde ihm zeigen, wer der wirkliche König ist!` Darauf schickte er mich hierher, um Euch zu holen." Als der Löwe das hörte, brüllte er in grosser Wut, und sein Brüllen liess den ganzen Urwald erzittern. "Zeig mir den Weg zu dem Dummkopf!", brüllte der Löwe. "Ich kann solange keinen Frieden finden, bis ich ihn getötet habe." "Recht so, Majestät, er verdient es, getötet zu werden. Ich wünsche ich wäre grösser, dann hätte ich ihn selbst in Stücke gerissen." "Zeig mir den Weg!", sagte der Löwe. "Zeig mir, wo er ist!"
"Ja, mein Herr, kommt mit!" So führte der kleine Hase den grossen Löwen zu einem Brunnen im Urwald. "Hier unten in der Festung lebt er.", sagte der Hase, "Seid vorsichtig, ein Feind in einer Festung ist schwierig zu besiegen!" "Überlass das mir!", sagte der Löwe. "Wo ist er?" "Als er Euch kommen sah, ist er wohl in seine Festung hineingesprungen.", sagte der Hase. "Kommt, ich werde ihn Euch zeigen!"
Der Hase lief zum Brunnen und sagte zum Löwen, er solle hineinschauen. Der Löwe folgte seinem Rat und sah sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche im Brunnen. Laut brüllte er. Aus dem Brunnen hallte sein Echo seiner Stimme entgegen, welcher er für das Gebrüll des anderen Löwen hielt. Er wartete keine Sekunde länger und sprang in den Brunnen, um seinen Feind zu töten.
Der Kopf des Löwen schlug hart gegen die Steinmauer des Brunnens. Er stürzte ins Wasser und ertrank. Nun war der grosse Löwe tot. Der kleine Hase kehrte nach Hause zurück und erzählte den anderen Tieren, wie er es angestellt hat, den Löwen zu töten. Alle waren sehr froh, dass ihr grosser Feind nun tot war. Sie waren dem kleinen Hase überaus dankbar und sagten, dass er ein sehr kluger Hase war.

Moral
Die sechs schlimmsten Feinde des Menschen sind Lust, Zorn, Gier, Neid, Verrücktheit und Illusion. Zorn verblendet eine Person, die dann nicht mehr zwischen gut und schlecht sowie richtig und falsch unterscheiden kann. Ein zorniger Mensch handelt immer falsch; so fügt er anderen und auch sich selbst Schaden zu. Halte Dich vom Zorn fern, indem Du mit dem zufrieden bist, was Du bekommst! Sei duldsam, wenn Deine Wünsche einmal nicht erfüllt werden, und sorge Dich nicht, denn Du wirst durch höhere Fügung bekommen, was Du verdient hast! Es ist nicht möglich, mit Gewalt das eigentliche Ziel Deiner Wünsche, nämlich Zufriedenheit, zu erreichen.