Das Gastmahl des Emir

Die Sonne war schon am Sinken, als die Karawane den Ort erreichte. Bescheiden fragte ihr Führer um ein Lager zur Nacht, und er trug Sorge, dass zunächst alle 40 Tiere und seine Weggefährten versorgt wurden, bevor er an sich selbst dachte.

Dies alles sah ein Freund des Emirs, und weil er wusste, dass sein Herr nichts so sehr schätzte wie die Geselligkeit, eilte er sogleich in den Bit el-Din Palast. Nachdem der Emir ihn angehört hatte, ließ er sogleich nach dem fremden Kaufmann schicken, um ihn zum Nachtmahl einzuladen. Obwohl dieser müde und erschöpft von der langen Reise über die schroffen Felsen des Jabal esh Sharqi war, nahm er die Einladung an und begab sich mit seinen Gefährten zum Palast. Dort begrüßte ihn der Emir wie einen alten Freund und geleitete ihn persönlich ins Essgemach, wo er ihn bat, es sich auf den weichen Kissen so bequem wie möglich zu machen. "Freund," sprach er, "Ihr habt auf Eurer Reise auf so vieles verzichten müssen, dass ich Euch an diesem Abend die Wahl lassen möchte, was Ihr zu speisen wünscht. Euer Wunsch soll mir Befehl sein." Der Kaufmann überlegte kurz und dachte, dass es vielleicht unhöflich sei, seinen Gastgeber mit dem Wunsch nach vegetarischem Essen in Verlegenheit zu bringen. Man muss wissen, dass der Kaufmann in jungen Jahren als Schlächter gearbeitet hatte, bis es passierte, dass einem Rind, in dem Moment, als er ihm mit einem scharfen Messer die Halsschlagader durchschneiden wollte, große Tränen aus den Augen rollten. Und just in diesem Augenblick zuckte ihm der Satz Mohammeds aus den Büchern des Hadith durch den Kopf: Der Schlächter solle dem Tier während des Tötens in die Augen sehen, und wenn er die Tränen in den Augen des Tieres sehe, solle er ebenfalls weinen. So werde er möglicherweise zur Einsicht kommen und fortan keine Tiere mehr töten wollen.
Dieses Erlebnis war der Grund gewesen, warum er seinen Beruf gewechselt hatte und Kaufmann geworden war. Deshalb erwiderte er dem Emir diplomatisch: "Herr, Ihr habt mir mit Eurer Einladung bereits einen solch großen Wunsch erfüllt, dass ich mich gerne auf Euren Rat verlasse, was Speisen und Getränke anbelangt." Das war dem Emir nur recht. Denn auch er hatte sich Gedanken gemacht, wie er seinem Gast erklären solle, dass in seinem Haus seit vielen Jahren kein Fleisch mehr auf den Tisch gekommen war, genaugenommen, seit seine kleine Enkelin Fatima, die er über alles liebte, ihn nach einer Jagd weinend zur Rede gestellt hatte: "Warum hast du diese schöne Gazelle getötet? Bitte mache sie wieder lebendig, für mich!" Dies konnte der Emir nicht. Aber als die kleine Fatima nicht locker lassen wollte und in Tränen aufgelöst immer wieder den Hals der Gazelle streichelte, ging das dem Emir so ans Herz, dass er ihr versprach, keine Tiere mehr zu töten oder töten zu lassen.
Nur so konnte er das verwundete Herz des Kindes trösten. Er hielt sein Versprechen, auch wenn seine Gäste oft über ihn lächelten, wenn er ihnen den Grund erzählte. Aber er hatte eine Möglichkeit gefunden, seine Gäste trotzdem nicht zu enttäuschen. Seine Köche waren nämlich sehr erfinderisch geworden und zauberten den Gästen jedes Mal ein Schlaraffenland an köstlichen vegetarischen Speisen auf den Tisch, so dass sie das Fleisch noch nie vermisst haben.

So tat er es auch diesesmal. Er wusste ja nicht, dass sein Gast ebenfalls seit Jahren kein Fleisch mehr aß. Der Emir klatschte kurz in die Hände, und sofort erschienen seine Diener, und was sie brachten verschlug dem Gast fast die Sprache. An die 50 kleine Gerichte waren es, köstlich und duftend und wunderschön anzusehen, so dass der Kaufmann es gar nicht wagte, diese Pracht zu zerstören. "Vom Ansehen werdet Ihr nicht satt", lachte der Emir und forderte ihn auf, von den Speisen zu kosten.
Darauf nahm sich der Kaufmann ein Stück Fladenbrot, das noch warm vom Ofen war, zeriss es in kleine Stücke und probierte von all den Köstlichkeiten, die vor ihm standen. Da gab es Mhammara, ein pikant gewürztes Walnusspüree, unzählige Pastetchen mit vielerlei leckeren Inhalten, feine Frikadellen aus Bohnen, Kichererbsen, Koriander, Pfefferminze und vielen libanesischen Gewürzen, serviert mit Sesamcreme; es gab in Butter geröstete Pinienkernen auf Kichererbsenmus mit Sesamöl, Schmackhaftes Mus aus gegrillten Auberginen, immer serviert mit libanesischem Reis mit gerösteten Federnudeln und Pinienkernen und eine große Anzahl von Gerichten, wie sie der Kaufmann trotz seiner vielen Reisen noch nie gesehen hatte und deren Aufzählung fast ohne Ende wäre.
Bald plauderten und scherzten die Männer miteinander. Dem Kauffmann fiel es natürlich sehr angenehm auf, dass für dieses wunderbare Mahl kein Tier sterben musste, und er fragte den Emir nach dem Grund. So erzählten sie sich gegenseitig ihre Geschichte und die vielen Erlebnisse, die sie inzwischen mit den Tieren hatten, seit sie kein Fleisch mehr aßen. Denn viel Seltsames passierte, als der Emir seinen Entschluss in die Tat umsetzte. Der Emir erzählte dem erstaunten Gast, dass, seit er das Versprechen seiner Enkelin gegeben hatte, keine Tiere mehr zu töten, früh morgens immer wieder eine kleine Gazelle in der Nähe seines Palastes gesehen wurde. Er verfügte, dass sie niemand aus dem Dorf töten durfte. So wurde sie immer zutraulicher, bis sie sich eines Tages sogar in den Innenhof seines Palastes wagte. Jedoch die einzige Person, vor der sie nicht flüchtete, wenn sie auf sie zuging, war seine Enkelin Fatima. Von ihr ließ sich das anmutige Tier sogar berühren und gerne nahm die kleine Gazelle Leckerbissen aus ihrer Hand. Diese Geschichte bewegte nicht nur unseren Gast, auch die Bewohner des Dorfes, die dem Emir unterstanden, berührte es sehr, so dass es einige dem Emir gleich taten und auf fleischliche Nahrung verzichteten.
Die zwei Männer unterhielten sich freundschaftlich und die Zeit verging wie im Fluge. Inzwischen servierten die Diener den staunenden Gästen feines, am Grill raffiniert zubereitetes Gemüse und köstliche Soßen.
"Nun will ich etwas für Eure Ohren tun", sagte der Emir, und er klatschte abermals in die Hände, worauf eine in Schleier gehüllte Frau den Saal betrat und zu den Klängen des Orchesters anmutig zu tanzen begann. "Süß wie der Duft und das Geheimnis der Frauen ist auch diese Köstlichkeit", flüsterte der Emir seinem Gast ins Ohr und ließ ihm Muhallabieh auftragen, einen kostbaren weißen, nach Blüten duftenden Pudding, dekoriert mit gemahlenen Pistazien, Mandeln, Rosinen und Pinienkernen. Als der Emir bemerkte, dass sein Gast nach all den Köstlichkeiten ein wenig der Erquickung bedurfte, ließ er frischen Mokka bringen, und ein Märchenerzähler unterhielt sie mit amüsanten Geschichten.
Es war schon spät in der Nacht, als sich der Kaufmann von seinem Gastgeber verabschiedete.
"Ihr habt mich beschämt mit der Gastfreundschaft, die Ihr einem Fremden wie mir habt angedeihen lassen", sprach er. Da schüttelte der Emir den Kopf und entgegnete: "Es ist wahrlich kein Zufall, dass wir uns getroffen haben. Zudem erlangt ein Abend wie dieser seine Vollkommenheit nur zur Hälfte durch das, was ich für Euch getan habe. Die andere Hälfte habt Ihr als Gast selbst beigesteuert, indem Ihr mir gezeigt habt, wie sehr Ihr Gastfreundschaft und den Aufwand, den diese manchmal mit sich bringt, zu bewerten und schätzen wisst." Mit diesen Worten entließ der Emir seinen Gast, und dieser brach am nächsten Morgen mit seinen Freunden auf, um weiter in die Hafenstadt Tyre zu reisen.
Obwohl der Kaufmann ein hohes Alter erreichte, vergaß er jenen Abend nie, pries seine Erlebnisse in aller Welt, und so sagt die Hausfrau noch heute im Libanon, wenn sie ein fleischfreies, köstliches Mahl bereitet: "Lasst uns heute essen wie beim Emir."